Anderswo ist es schöner…

Der Reiseboom hält unvermindert an, lieber verzichtet man auf etwas anderes als die Ferienreise. Dabei stellt man sich weniger die Frage nach dem Wozu als nach dem Wohin. Aber warum reist man? Mit welchen Erwartungen? Auf der Suche nach Entspannung oder Erlebnissen oder sogar beides? Wir haben uns mit einer Spezialistin unterhalten: Gisela Treichler, Gründerin des Travel Book Shop in Zürich und aus Neigung und Überzeugung kritische Globetrotterin.

von Inga-Lill Nissas

Die Buchbranche allgemein kämpft mit grossen Schwierigkeiten, der Travel Book Shop existiert seit sechzehn Jahren und floriert. Welche Philosophie steckt dahinter?

Für mich war nicht der kommerzielle Aspekt massgebend. Ich wollte einen Treffpunkt für Reisende kreieren, wo man alles findet, was mit Reisen und mit einer fremden Kultur zu tun hat: vom Kochbuch über das Sprachbuch und die Landkarte bis zum Märchen, zum politischen Buch und zu zeitgenössischer Literatur. Einfach alles, was ein Land prägt.

Warum gerade Reiseliteratur?

Vielleicht hat sich das aus meiner Biographie ergeben. Ich wurde als Kind «kulturverpflanzt», als meine Mutter einen Schweizer heiratete. So war ich immer neugierig, was hinter dem Berg war. Und diese Neugier zieht sich durch mein Leben wie ein roter Faden. Ich habe mich auch früh für Geschichte interessiert und erkannt, dass Geschichte oft biographisch bedingt ist, ob aus Machtgelüsten oder Landgelüsten. Dann war ich mit einem Reisejournalisten verheiratet und einige Jahre viel unterwegs. So hat es sich ergeben, dass ich meinen Beruf als Buchhändlerin mit meinen persönlichen Reiseerfahrungen kombiniert habe, und dazu kommt, dass ich eine grosse Liebe zu Landkarten habe: Worte sind sehr subjektiv, eine Landkarte kann nicht lügen.

Reisen und Reiseliteratur nicht nur als Beruf, sondern vielmehr Berufung. Da spielt wohl auch die Beratung eine wichtige Rolle?

Das ist richtig, und die kann ich nur geben, wenn ich selber reise, also selbst die Probleme erlebe, die man als Reisende hat. Sonst hat man nicht das richtige Gefühl dafür, und das hält auch das Geschäft lebendig: vermittelt neue Aspekte, zeigt die Entwicklung des Reisens, das sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert hat.

Was ist heute anders als früher?

Vor dreissig Jahren gab es entweder die Geschäftsreisen oder die Luxusreisen, und dann kam die Hippiewelle, kamen die ersten Tramper. Es gab keinen Weltkrieg mehr, neue Medien waren da, das Fliegen ist billiger geworden, man wollte neue Kulturen kennenlernen: So ist der Massentourismus entstanden.

Früher galt der Rucksacktourist sozusagen als vorbildlich. Ist Alternativtourismus heute out?

Das ist nicht der richtige Ausdruck, weil der Alternativtourismus zwei Aspekte hat. Ein echter Alternativtourist bewegt sich im Rahmen des sanften Tourismus: Er benimmt sich wie ein Gast, der sich zurückhält und Rücksicht nimmt, der die Sitten des Landes respektiert, der nicht meint, mit Geld alles kaufen zu können. Der andere, negative Aspekt des Alternativtourismus ist die Konsumhaltung. Viele Drittweltländer sind für uns sehr günstig, wir nutzen sie aus und missbrauchen häufig die Gastfreundschaft. Deshalb ist der Massentourist vielfach weniger verhängnisvoll, weil er in seinem Ghetto bleibt.

Ein Gedanke zu „Anderswo ist es schöner…“

  1. Liebe Gisela
    Bin heute wieder auf deiner Seite gelandet und finde unser Interview auch nach über 20 Jahren noch spannend! Dafür danke ich dir und hoffe, dass es dir weiterhin möglichst gut geht. Ich befinde mich gerade in Schweden und besuche einen Kurs für Living Food (vor vielen Jahren von der Amerikanerin Ann Wigmore erfunden und entwickelt). Hier habe ich etwas Zeit zum Nachdenken über das, was im Leben wesentlich und wichtig ist.

    Herzliche Grüsse
    Inga-Lill

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