Der Travel Book Shop in der Altstadt erhält mit Orell Füssli einen starken Partner – zur Freude der unermüdlichen Betreiberin.
Von Denise Marquard
Seit 33 Jahren führt Gisela Treichler den Reisebuchladen Travel Book Shop, zuerst am Seilergraben, seit 1984 am Rindermarkt. Betriebswirtschaftlich gesehen grenzt das an ein Wunder, der Laden müsste längst bankrott sein. Er ist zu klein und hat ein viel zu grosses Angebot: Reisebücher, Bildbände, Kochbücher, Reliefkarten, Sprachführer, länderspezifische Benimm-Fibeln und vor allem Landkarten. Wie schafft es Gisela Treichler, das Gesetz der betriebswirtschaftlichen Schwerkraft aufzuheben und Jahr für Jahr schwarze Zahlen zu schreiben? «Der Laden ist meine Passion», sagt sie.
Ende der Selbstausbeutung
Die beharrliche Leidenschaft von Gisela Treichler steht nun auch auf wirtschaftlich gesunden Füssen. Die Zeiten der Selbstausbeutung sind vorbei. Orell Füssli hat 35 Prozent des Aktienkapitals übernommen. Der Riese der Schweizer Buchbranche hat damit einmal mehr zugeschlagen. Doch das vermeintliche Opfer ist alles andere als unglücklich darüber. «Für mich ist das eine unglaublich gute Lösung», sagt Treichler. «Der Schritt hat mich zwar grosse emotionale Überwindung gekostet. Aber ich kann nun sagen, dass die 33 Jahre Arbeit, die meine Angestellten und ich in dieses Geschäft gesteckt haben, nicht für die Katz waren.»
Ihr Reisebuchladen war für Gisela Treichler auch ihr teuerstes Hobby. Sie verkauft nicht nur Reisebücher, sondern ihr ganzes Wissen. «Ich verstehe mich als Bildungsbeauftragte», sagt sie denn auch. Mit ihren Büchern will sie den Menschen fremde Kulturen näherbringen. Nicht immer zur Freude der Kunden. Wer vor allem konsumieren will, möglichst schnell, möglichst viel und möglichst günstig reisen, ist bei Treichler an der falschen Adresse. Sie hält mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg, auch wenn ihr das rein kommerziell schadet. Wer sich nach Last-Minute-Angeboten erkundigt, wird barsch abgewiesen. «Das sind doch touristische Feuerwehrübungen», winkt sie ab.
Nichts bringt die Fachfrau mehr auf die Palme als Touristen, die eine Reise wie eine geschäftliche Mission betrachten und einzelne Orte und Sehenswürdigkeiten wie Aufträge abhaken. Reisen ist ein Erlebnis, auf das man sich freuen und vorbereiten darf. «Was gibt es Schöneres als das Planen und die Vorfreude», schwärmt Treichler und fügt schalkhaft hinzu: «Da muss man auch noch keine Angst vor Brechreiz und Durchfall haben.» Die Fachfrau ist auch politisch engagiert. Sie ist Mitbegründerin des Arbeitskreises Tourismus & Entwicklung, einer Organisation, die den Tourismus aus entwicklungspolitischer Sicht beleuchtet. Und sie hält Vorträge, weil sie es wichtig findet, wie Touristen den Einheimischen begegnen: nicht als Kolonialisten, sondern mit dem gleichen Respekt und Lächeln, das sie uns entgegenbringen.
Gisela Treichler verkauft nicht nur Reisebücher und Reiseliteratur, sie reist selber leidenschaftlich gerne. «Es ist für mich die Quelle von Kraft und Lebensfreude.» Inzwischen hat sie schon beinahe die halbe Welt gesehen. Meistens ist sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Auf den Geschmack gekommen ist sie 1969, als ihr damaliger Mann sie nach Indien lotste. Die wichtigen Tipps zu solchen Reisen waren noch rar. «Damals gab es weder einen Globetrotter noch einen Lonely Planet», sagt die Reisefachfrau.
So entdeckte sie eine Nische: Sie und ihr Mann notierten sich alle praktischen Tipps dieser Reise und fassten sie in einem Buch zusammen. Der Titel: «Der billigste Trip nach Indien». Es wurde in der Hippieszene zum Kultbuch. Treichler und ihr damaliger Mann beschreiben darin, wie man damals tatsächlich noch mit 250 Franken von Zürich nach Indien reisen konnte. Heute kann man davon nur noch träumen. Mit dem Bus durch Afghanistan zu reisen, sei nicht nur teuer, sondern viel zu gefährlich geworden.
Eine wilde Kindheit
Gisela Treichler spricht Züritüütsch wie eine waschechte Zürcherin. Dabei ist sie in München und St. Gallen aufgewachsen. Sie blickt auf eine wilde Kindheit zurück. Als 5-Jährige büchste sie 1948 aus einem Kinderheim am Starnberger See aus und setzte sich ohne Billett in den Zug, weil sie zu ihrem Opa wollte. Diese Reise endete jedoch abrupt in Hamburg, wo sie von der Polizei aufgegriffen wurde. Als ihre Mutter später einen Schweizer heiratete und in die Ostschweiz zog, kam Ruhe und Geborgenheit in das Leben der 9-Jährigen und ihrer sechs Geschwister.
Die Lust am Reisen ist geblieben. Zu ihren stärksten Erinnerungen zählen die Ausflüge mit ihrem Vater. «Er hat jeweils die ganze Familie in den VW-Bus gepackt und ist einfach losgefahren», erzählt sie. Unvergesslich die Reise, die in Venedig endete: «Dort gab es Gelato, und ich war überzeugt, dass eine Steigerung von Glück nicht mehr möglich ist.»
© Tages-Anzeiger; 16.10.2008; Seite 54 (Bild: Peter Lauth)